Asexualität durch die Augen Außenstehender |
Mittwoch, 17. Dezember 2008 |
Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus AVENus und wir hoffen, dass er möglichst vielen Menschen hilft, Asexualität besser zu verstehen.
Asexualität als Außenstehender verstehen
Ich habe einen Freund, der Sex eigentlich nie erwähnt und selbigen vermutlich seit 10 Jahre nicht mehr hatte. Das kam mir immer irgendwie seltsam vor, aber ich mag ihn wirklich und akzeptiere ihn so wie er ist.
Als ich das AVEN-Forum entdeckte, zählte ich zwei und zwei zusammen und erhielt Asexualität.
Ich wollte meinen Freund nicht mit etwas konfrontieren, über das er eventuell nicht gerne
sprach, aber ich wollte ihn wissen lassen, dass ich Asexuellen-freundlich bin.
Unfähig, mir einen besseren Plan zusammenzubrauen, sandte ich eine "Zu deiner Info"-Email an
ein Dutzend Freunde und ließ sie wissen, dass ich sehr interessante Themen im AVEN-Forum las.
Ich schickte sogar ein paar Links zu meinen Favoriten mit. Meine Email war nicht für die
anderen Elf, ich schickte ihnen diese Email einfach auch, damit mein Freund nicht dachte, ich
würde ihm das alleine schicken.
Er schrieb ein paar Tage später zurück und erzählte, dass er sich durch das Forum gelesen
hätte und es faszinierend fände. Er sagte außerdem, dass er sich wünschte, asexuell geboren zu
sein - denn das hätte für ihn das Leben einfacher gemacht.
OK. Er ist nicht asexuell.
Zwei Tage später erhielt ich eine Email von einem anderen Freund, einer der Elf. Er sagte, er
hätte immer vermutet, er wäre asexuell.
Ich war platt.
Freund Nummer zwei erzählt weiter über Verliebtheiten in TV-Persönlichkeiten
und ich habe ihn vor langer Zeit damit aufgezogen, ein typischer heterosexueller Kerl zu sein.
Nun, da ich Asexualität verstehe, glaube ich, dass Asexuelle romantisch oder eben nicht
romantisch orientiert sind und manche eben über fiktionale Charaktere fantasieren und manche
nicht.
Ich hätte es besser wissen müssen als ihn gleich in eine Klischeevorstellung zu
stecken.
Ich schäme mich wirklich dafür, das zuzugeben, aber meine Stereotypien gehen noch weiter.
Mein
Freund ist ein sehr gut aussehender Typ und ich denke, ich nahm einfach an, dass Kerle, die gut
aussehen, einen Harem an Frauen um sich herum haben.
Schande über mich! Und Doppelschande dafür, dass ich annahm, ein
attraktiver Mann könnte nicht asexuell sein - denn körperliches Erscheinungsbild und
Asexualität haben nichts miteinander zu tun. Wenn attraktive Männer per Definition sexuell
sind - was ist dann mit asexuellen Männern?
Schande³ über mich.
Mein Klischee sagt viel über meine Werte als Sexueller aus, trotz meiner Bemühungen
körperlichem Erscheinen nicht zu viel Wert zuzuschreiben.
Logisch gesagt, warum ist es für
eine Tyra Banks oder einen Brad Pitt unmöglich, asexuell zu sein? Die Möglichkeit zu
bestreiten, bedeutet, den Wert Asexueller zu bestreiten. Zu sagen, dass Sexualität und
Schönheit allein definieren, wer eine Person ist.
Und nun, während ich das halbreife Alter von 41 erreicht habe, hielt ich mir für weise. Ich
habe sicherlich viel zu lernen. Aber das AVEN-Forum ist ein guter Platz und damit anzufangen.
DIE ERSTE VORAUSSETZUNG
So, mit welcher Voraussetzung sollte ein Sexueller der Asexualität verstehen möchte, beginnen?
Hier ist ein Vorschlag: asexuell anstatt sexuell zu sein, ist wie Linkshänder anstatt
Rechtshänder zu sein.
Es ist nicht so wie die meisten Menschen sind, aber es ist auch nicht
besser oder schlechter. In einem Klassenzimmer mit beweglichen Einarmtischen, kann ein
Rechtshänder überall sitzen. Ein Linkshänder kann entweder mit viel Unbehagen einen Tisch für
Rechtshänder benutzen oder sich einen Linkshändertisch suchen und dort so komfortabel sitzen
wie alle anderen auch. Es ist ein bisschen mehr Einsatz nötig, um sich als Linkshänder
einzupassen, aber der Grund hierfür ist einfach, dass die Kultur von Rechtshändern dominiert
wird - nicht weil ein Linkshänder biologisch minderwertig ist.
In der Vergangenheit dachte man, dass Linkshänder böse sind. Am jüngsten Tag werden die
Verdammten auf Christus' linker Seite stehen. Lehrer benutzten früher körperliche Züchtigung, um
Linkshänder zum Rechtshänder zu machen. Heute wissen wir es besser - und wir erkennen
außerdem, dass manche Menschen Beidhänder sind.
"Unendliche Vielfalt in unendlicher
Kombination", sagt der Vulkanier IDIC.
Gleichheit auf intellektueller Ebene zu akzeptieren, ist eine Sache, aber wie können wir
Sexuellen auf emotionaler Ebene verstehen, was es bedeutet, asexuell zu sein?
Wir können es
nicht.
Ich bin kein Asexueller, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was es bedeutet, asexuell
zu sein - genauso wie ich nicht mit Sicherheit sagen kann, wie es sich anfühlt lesbisch, eine
Frau, ein Afroamerikaner, ein Ungar, ein Koreaner oder ein älterer Mitbürger zu sein.
Trotz
dieser Beschränkungen, kann ich immerhin für etwas Verständnis sorgen. Ich kann Vergleiche
benutzen, um mich in einen Asexuellen hineinzudenken, zudem kann einfache menschliche Liebe
und Verständnis nutzen, um mich an der Verschiedenheit zu erfreuen. Und andere so behandeln,
wie ich gerne behandelt werden möchte.
DIE WELT DER AUGENBRAUEN
Jetzt tut mal so, als wären wir auf einem anderen Planenten, vielleicht Alpha Centauri.
Dort
basiert die dominante Kultur auf schönen Augenbrauen. Tatsächlich wird über den männlichen
Teil der Spezies gesagt, dass sie alle 17.3672 Sekunden an eine rasierte Augenbraue denken.
Die Filmindustrie von Centauri wird von Augenbrauenstreifen dominiert, teilweise zu obszön, um
sie der Öffentlichkeit zuzumuten. Jemandes Augenbraue anzufassen, sollte für die Heirat
aufbewahrt werden, obwohl es viele Teenager gibt, die einander die Augenbrauen in geparkten
Autos lecken - weit entfernt von den Augen der prüden Eltern. Die Noten mancher Teenager sind
schlecht, weil sie sich nicht auf die Schule konzentrieren können, alles woran sie denken
können sind Augenbrauen. Ganz besonders große, buschige Augenbrauen.
"Was zur Hölle (oder Alpha Centauri) soll das mit den Augenbrauen?", fragst du bestimmt.
Du
weißt, dass Augenbrauen existieren. Und du bist im Stande, ein hübsches Paar sehr schön zu
finden - rein ästhetisch. Aber würdest du so ein großes Teil deiner mentalen Fähigkeiten und
wachen Stunden an etwas wie Augenbrauen verschwenden?
Es macht einfach keinen Sinn.
Du
möchtest bestimmt nicht, dass sich jede verdammte Unterhaltung darum dreht, wessen Augenbrauen
man gut lecken könnte.
Erkennst du, wo ich dies hinführe?
Du hast nie verneint, Augenbrauen zu haben. Und du kannst
sie mit Wachs entfernen, auszupfen oder färben. Aber komm schon - Augenbrauen?!? Es gibt viel
wichtigere Dinge im Leben!
Nun ersetze "Augenbrauen" durch "Sex". Und du bist kurz davor, das 1x1 der Asexualität zu
beherrschen.
BOMBARDIERT VON SEXUALITÄT
Zurück zur realen Welt.
In unserer sexuellen Kultur werden Asexuelle mit Sexualität
bombardiert, die ihnen fremd ist, als müssten sie sexuelles Können beweisen, um mit der coolen
Clique mithalten zu können und nicht zu den Verlierern abgeschoben zu werden. Wir fragen nie,
ob sie Interesse an Sex haben. Wir nehmen einfach an, dass es so ist.
Warum sollte es auch
nicht sein?
Sex ist toll! Sex ist ultimativ genial! Sex ist eine Bombe!
Genauso wie Augenbrauen.
Die Menschen fragen sich, warum Asexuelle ein 'Coming Out' benötigen. Aber in einer
Gesellschaft, in der sexuelle Begierde einfach angenommen wird, fühlen sich viele Asexuelle
gezwungen, einfach zu lügen um akzeptiert zu werden. Warum würden sie also kein 'Coming out'
benötigen?
Es hat gar nichts mit 'asexueller Psychologie' und sehr viel damit zu tun, wie wir
Sexuelle eine sexuelle Konformität erzwingen. Asexuelle müssen sich anderen Asexuellen
anvertrauen, und solche, die nach romantischen, aber nicht-sexuellen Beziehungen suchen müssen
andere finden, denen es ebenso geht. Schmerzvolle Selbstbetrachtung und wachsendes
Selbstbewusstsein entstehen nicht in Isolation.
Außerdem, die Erfahrungen eines Asexuellen in
einer groben, sexuellen Welt können so schmerzvoll sein, dass Selbstverstümmelung oder auch
Drogenmissbrauch große Probleme sein können.
Die Ironie ist, dass Sexuelle verstehen sollten, wo Asexuelle herkommen.
"Hetero Frauen und
Homo Männer"-Sport ist eine Art asexuelles Gefühl in Richtung Frauen, zum Beispiel. Sie mögen
sich als 'warme Freunde' begehren, sie lieben es Zeit miteinander zu verbringen, miteinander
zu lachen und zu weinen, bewundern ihre körperliche Schönheit - Aber es ist einfach nichts
Sexuelles.
Gleichfalls haben heterosexuelle Männer und Lesben kein sexuelles Verlangen nach
Männern, aber es bedeutet nicht, dass Männer keine Rolle in ihrem Leben spielen.
Nun, hier ist der springende Punkt: Es sei denn es ist Teil des Herumalberns mit dem alle
Parteien einverstanden sind, ein sexueller Vorgriff von jemandem außerhalb deiner sexuellen
Orientierung ist meist nicht willkommen.
Ein heterosexueller Mann möchte nicht von einem
homosexuellen Mann angemacht werden - und ein homosexueller Mann möchte auch nicht von einer
heterosexuellen Frau angemacht werden.
Asexualität ist eine gültige sexuelle Orientierung.
Asexuelle möchten einfach von niemandem angemacht werden!
Wenn wir Sexuelle argumentieren,
dass Asexualität nicht normal ist, projizieren wir eigentlich unsere eigene biologische
'Verdrahtung' und Hoffnung auf sie. Wir hören unsere eigenen Stimmen, nicht ihre.
Ich stelle fest, dies ist eine kindisch einfache Definition von Sexualität und es spiegelt
auch nicht das komplette Spektrum der Sexualität wieder. Ich versuche nicht, sämtliche
Möglichkeiten sexueller Ausrichtungen zu definieren und ich will weiß Gott nicht die
Bisexuellen und was es noch alles gibt außen vor lassen. Aber ich glaube, der Artikel wäre
dreimal so lang, wenn ich alle Schattierungen menschlicher Sexualität beschreiben wollen
würde.
WARUM SICH NICHT 'REPARIEREN' LASSEN?
Zurück zur Asexualität.
Nun, da ihre Natur etwas klarer geworden ist, sollten wir zur anderen
Frage übergehen, die viele Sexuelle stellen: "Warum sind Asexuelle so abgeneigt, sich durch
Therapie oder Medikamente 'reparieren' zu lassen?".
Die wohl wichtigste Antwort darauf ist,
dass schon viele es versucht haben, es aber einfach nicht funktioniert. Und überhaupt - warum
sollte es funktionieren?
Wenn etwas nicht defekt ist, muss es nicht repariert werden!
Wenn du, ein Sexueller der über diese Frage grübelt, kein Interesse an heftigem BDSM hättest,
würdest du eine Pille nehmen, damit du Lust darauf bekommst? Wärst du gewillt, zu einem
Therapeuten zu gehen um herauszufinden, welche Kindheitstraumata vermutlich dafür
verantwortlich sind, warum du kein Interesse am Peitschenschwingen hast? Fändest du, dass du
es vermisst, als devoter Part an einem Küchentisch festgebunden zu sein?
Diejenigen, die
diese Sexspiele lieben, denken dass Nicht-BDSMler so viel verpassen. Sie würden außerdem
fühlen, dass ihnen etwas gestohlen wurde, könnten sie ihre Sexualität nicht mehr auf diesem
Wege ausleben. Du dennoch vermisst gar nichts. Du kannst ein glückliches, produktives Leben
ohne BDSM Leben. Oder Natursektbäder. Oder Gummi-Fantasien.
Das ist, wie Asexuelle ihre Sexualität sehen. Sie sehnen sich nicht danach. Und sie wollen
sich auch nicht danach sehnen.
WAS SAGEN SEXUELLE WIRKLICH?
Der letzte Satz ist so hart für Sexuelle, mich eingeschlossen, emotional zu akzeptieren,
obwohl wir es intellektuell vermutlich sehr wohl verstehen.
Ein Großteil der menschlichen
Geschichte, ist eigentlich die Geschichte des Koitus. Viele große Kunstwerke - egal ob es sich um
Gemälde, Skulpturen, Musik oder Literatur handelt - sind sehr, sehr sexuell, auch wenn dies
heimlich geschah.
Viele Menschen hatten für den freien Ausdruck ihrer Sexualität zu
kämpfen und in vielen Kulturen ist Sexualität weiterhin eingeschränkt oder verboten.
Sogar
heute werden in einigen Kulturen Frauenbeschneidungen durchgeführt, Homosexuelle eingesperrt
oder hingerichtet, darauf bestanden, dass Sex nur zwischen einem verheirateten Paar und nur in
der Missionarsstellung stattfinden darf. Ausländische Filme die ohne Zweifel nicht
pornografisch sind, werden geschnitten, um in den Vereinigten Staaten eine "X"-Einstufung zu
erhalten.
Verschiedene Folgen der kanadischen Serie "Degrassi", hauptsächlich die über
Abtreibung, wurden in den USA nicht gesendet. Wohlgemerkt, Degrassi ist eine Serie über
Teenager in ihrer High-School-Zeit und ist nicht halb so 'schlimm' wie Sex and the City. (The
Latter Show, sowas ähnliches wie Queer als Folk, ist nur für Pay-TV bestimmt, nicht für
normales Kabel).
Sag den Menschen, sie können etwas nicht haben und sie wollen es noch viel mehr.
Menschen sind
sehr empfindlich, wenn es um irgendein Vordringen in ihre sexuelle Art geht. Sie behalten die
sexuelle Zurückhaltung des Vorgängers bei und verurteilen alles andere als sexuelle
Abschweifung. Trotz unserer sexuellen Befreiung, sind wir immer noch die Produkte der
Vorurteile älterer Generationen, alten Glaubensgrundsätzen und dreckigem Humor. Sex ist
überall, obwohl es ein Tabu und irgendwie dreckig ist.
Dort liegt das Problem.
Wir glauben, dass Asexuelle nicht wie "wir" sind, also muss irgend
etwas mit "ihnen" falsch sein. Sie scheinen ihre Sexualität (eigentlich ihre Asexualität) in
unsere Gesichter zu drängen - und das ärgert unsere viktorianische Moral. Oder noch schlimmer,
wenn ein Asexueller es wagt, kein 'angemessenes' sexuelles Interesse an uns zu zeigen, sind
wir aufgebracht.
Wir wollen Sex! Wer zum Teufel sind sie, einfach 'Nein' zu sagen?!
Wie traurig.
Ist Sex wirklich das A und O in der Liebe?
Für einen Sexuellen macht es einen Großteil der
Beziehung aus - aber ist es wirklich die einzig mögliche Äußerung physischer Liebe? Was ist
mit Umarmungen, Küssen, zärtlichen Liebkosungen, Kuscheln, Knuddeln, jemandem unterstützend
den Arm reichen?
Ist Sex das Einzige, das eine Beziehung festigt? Was ist mit
Einfühlungsvermögen, Verständnis, Zuneigung, Geduld, Standhaftigkeit, Treue, Ehre,
Gemeinschaft und geteilten Lebensweisheiten?
Wenn wir so viel anderes vergessen und menschliche Beziehungen nur durch Sex definieren, was
sagt das dann über uns aus?
(c) "Understanding asexuality from the outside" by Mark-Ameen Johnson / Published on
asexuality.org
Textformatierung von Lennon
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(Stand Sonntag 1. Mai 2016)
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